Nehamer war der erste EU-Chef, der den russischen Präsidenten seit Kriegsbeginn vor mehr als sechs Wochen besuchte. Das Gespräch fand in Putins Amtssitz in Novo-Ogaryovo statt und dauerte etwa eine Stunde. Die Kanzlerin sprach nach dem Treffen von einem “direkten, offenen und schwierigen” Gespräch, das einen pessimistischen Eindruck hinterlassen habe. Am Dienstag verteidigte er im ORF-Radio, dass es ihm wichtig sei, Putin mit den “Fakten des Krieges” zu konfrontieren.
Der Kreml selbst lehnte eine Stellungnahme ab oder äußerte sich nicht zum Inhalt. „Das Treffen war nach neuesten Maßstäben nicht sehr lang“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Präsident Putin erwähnte Nehamers Besuch bei einem Treffen am Dienstag nicht, sagte aber, Russland könne nicht vom Westen isoliert werden.
“Schwieriges” Gespräch, bescheidenes Ergebnis
Nehamer kündigte nach Angaben des Bundeskanzleramtes für Dienstag einen Besuch bei Bundespräsident Alexander Van der Belen an. Zum Inhalt des Gesprächs wurden keine Details bekannt – interessanterweise hieß es hinter verschlossenen Türen, Nehamer soll den Bundespräsidenten nicht über seine Reisepläne nach Moskau oder seinen grünen Koalitionspartner vor allem über die Medien informiert haben. Van der Belen twitterte am Abend, dass Nehamer bei ihm in der Hofburg sei. „Frieden in der Ukraine ist und bleibt unser gemeinsames Ziel“, schrieb der Bundespräsident.
Telefoniere mit Selenskyj
Das Treffen mit Putin war auch Gegenstand eines Telefongesprächs zwischen der Kanzlerin und dem ukrainischen Präsidenten. Nehamer betonte laut Kanzleramt, das Treffen sei “kein Freundschaftsbesuch”. Er habe mit Putin “sehr deutlich” über das Leid gesprochen, das der Angriffskrieg Russlands verursacht habe, sagte Kanzler Nehamer. “Es gibt nur Verlierer im Krieg”, wurde der Regierungschef zitiert.
Mayer-Bohus (ORF) zu Nehamers Besuch bei Putin
Andreas Mayer-Bochush kommentierte den Besuch von Bundeskanzler Karl Nehamer (ÖVP) beim russischen Präsidenten Putin.
Die russischen Angriffe mussten beendet und die Kriegsverbrechen in Bucha vollständig aufgeklärt werden. Er sagte Putin auch, dass „EU-Sanktionen gegen Russland in Kraft bleiben und verschärft werden, wenn Menschen in der Ukraine in dem Konflikt sterben“, sagte Nehamer laut einem Telefongespräch mit Selenskyj. Nehamer sprach am Dienstag auch mit US-Botschafterin Victoria Kennedy. Der Regierungschef sagte, dass “mehr denn je die Einheit des Westens als Wertegemeinschaft für Menschenrechte und Frieden gebraucht wird”.
Viel Kritik von der Opposition
Nehamer erntet viel Kritik aus der politischen Konkurrenz. „Die Reise nach Moskau war offensichtlich ein Eigenversuch und letztlich völlig ergebnislos“, sagte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Gespräche seien wichtig, aber Nehamers Besuch bei Putin sei “übereilt und nicht gut koordiniert” gewesen. Verhandlungen hätten eine Chance sein können, blieben aber „völlig ergebnislos“ – kein Waffenstillstand, keine humanitären Korridore.
Laut FPÖ-Chef Herbert Kickel diente die Reise „nur seiner machistischen Selbstdarstellung und Ablenkung von den notorischen innenpolitischen Desastern der ÖVP“. Es scheint, dass Nehamer “von der Ukraine ferngesteuert” und nicht selbstbestimmt war. Kickle verzichtete auf Worte über mögliche Friedensgespräche oder die Zukunft der Energieversorgung, stattdessen präsentierte Nehamer nur „mit leeren Worten sein eigenes Erscheinungsbild zu verändern“.
APA/Team Fotokerschi.at/Hannes Draxler Kickl kritisiert Nehamers Besuche als „Macho-Selbstverständnis“
Vizekanzler Kogler zurückhaltend – NEOS mit Kritik
Die Grünen, die offenbar aus den Medien von den Reiseplänen des Koalitionspartners zu Putin erfahren hatten, zeigten sich noch äußerst zurückhaltend. Nach dem Treffen zwischen Nehamer und Putin habe die Kanzlerin die Bundeskanzlerin “rechtzeitig” informiert, teilte nur das Büro von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) mit. Zuvor hatte nur die außenpolitische Sprecherin der Partei, Eva Ernst-Djidjic, den Besuch kritisiert.
NEOS kritisierte auf Twitter, Nehamer habe Putin nach eigenen Angaben gesagt, „dass Sanktionen gegen Russland in Kraft bleiben und weiter verschärft werden, wenn Menschen in der Ukraine sterben“. Vielmehr sollten die Sanktionen „in Kraft bleiben, bis die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist“, sagte NEOS-Chefin Beate Mainl-Raisinger. “Alles andere fordert Putin auf, weitere Schritte zu unternehmen.”
Russland-Experte: „Ich sehe keinen spürbaren Effekt“
Besonders kritisch sah der Innsbrucker Russland-Experte Gerhard Mangot das Treffen. Im Gespräch mit dem SPIEGEL sagte er, Nehamer habe “nichts erreicht”. „Ich sehe keine spürbaren oder möglichen Auswirkungen auf die Handlungen von Wladimir Putin. Dieser Besuch brachte der Ukraine und dem Westen außer politischen Umwälzungen innerhalb der Europäischen Union nichts.
APA/Georg Hochmuth NEOS-Chef Mainl-Raisinger kritisiert auch Nehamers Besuch bei Putin
Außerdem wisse nur die Kanzlerin, ob er “wirklich so offen und unhöflich mit Putin gesprochen habe”, sagte Mangot. Während die Kreml-Propaganda ohne Fotos keine Show machen kann, ist es dennoch möglich, die Botschaft zu verbreiten, dass Putin nicht isoliert ist. Am Abend lief im russischen Fernsehen ein kurzer Bericht über das Treffen, in dem es hieß, es sei “trotz Krieg ein bisschen normal”. „Du hättest dem Kreml wirklich keinen Gefallen tun sollen.
Nehamer bei Putins Besuch
Bundeskanzler Karl Nechamer (ÖVP) habe nach einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin “generell keine positiven Eindrücke gewonnen”. Das sagte Nehamer am Montagabend gegenüber den Medien. Der Kanzler sagte, er sei ohne Erwartungen nach Moskau gereist.
Ähnlich äußerte sich der ungarische Russland-Experte Zoltan S. Biro. Gespräche mit Putin hätten nur Sinn gemacht, wenn Nehamer eine “sehr sensible, vertrauliche Botschaft” übermittelt hätte. Da jedoch ein Dolmetscher anwesend war, war der Besuch laut Kanzlerin “völlig bedeutungslos”, so der Budapester Historiker Corvinus.
Die russischen Medien sind zurückhaltend
Mangels Informationen aus dem Kreml berichteten die russischen Medien sehr zurückhaltend über Nehamers Besuch. “Dies war die erste Reise eines Vertreters eines unfreundlichen europäischen Landes in die Russische Föderation seit Beginn einer Spezialoperation (Krieg, Anm. d. Red.) in der Ukraine”, berichtete die Moskauer Zeitung “Komsomolets”. Nehamer sei keine “Dauerfigur”, schreibt die Zeitung, deren Chefredakteur Pavel Gusev seit Ende vergangener Woche auf der EU-Sanktionsliste steht.
Die Zeitung vermeidet in ihren Berichten Zitate aus Nehammer, in denen das Wort “Krieg” vorkommt. Das gilt auch für die Tageszeitung Ivestia, die punktuell die Pressemitteilung des Amtes zitiert. Die Medien zitierten Experten, die an die Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas erinnerten. Nehamers Außenpolitik sei ausgewogener als die Deutschlands, sagte der Moskauer Professor Wadim Truchatschew in der Zeitung. Der Artikel trug den Titel „Wiener Chance“ – im Russischen ist es eine offensichtliche Anspielung auf den „Wiener Walzer“.
„Kommersant“ spielte mit der Bedeutung von „Wien“, das nicht nur der russische Name der österreichischen Hauptstadt ist, sondern auch Wien bedeutet. Neben der Geschichte der bilateralen Beziehungen und der Rolle russischer Gasimporte berichtete die Zeitung ausführlicher als die Sendung an das Bundeskanzleramt. Trotz Zensur, die den Begriff “Krieg” faktisch kriminalisiert, ist von “unermesslichem Leid” durch den “russischen Angriffskrieg” die Rede.
“Gespräch direkt, offen und schwierig”
Der ehemalige österreichische Botschafter in Moskau, Emil Brix, erwähnte, dass „es auf jeden Fall einen Versuch wert ist“. Er war überrascht, dass Moskau dem Besuch zustimmte. „Natürlich muss man sagen, dass es inhaltlich keine Fortschritte gibt, aber damit hat niemand gerechnet“, sagte Brix gegenüber Ö1.
Das Bundeskanzleramt hatte zuvor erklärt, es handele sich nicht um einen “Freundschaftsbesuch”. Das Gespräch sei “direkt, offen und schwierig” gewesen. Nehamer verwies auch auf Kriegsverbrechen in Bucha und anderen Orten in der Ukraine. „Meine wichtigste Botschaft an Putin war (…), dass dieser Krieg endlich enden muss, denn es gibt auf beiden Seiten nur Verlierer im Krieg.“
“Putin hat die Kriegslogik en masse erreicht und handelt danach”, sagte die Kanzlerin. Anfangs akzeptierte Putin den Begriff „Krieg“ nicht, aber gegen Ende des Gesprächs sagte der russische Präsident, er hoffe auf ein baldiges Ende. Es könnte aber auch bedeuten, dass die Offensive in der Ostukraine schnell beginnt und für die Zivilbevölkerung brutal und gewalttätig wird.
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