Stand: 15.04.2022 03:50
Der russische Präsident sucht die Nähe zur orthodoxen Kirche. Statt Friedensbotschaften predigt ihr Patriarch Kirill Loyalität und Hass auf den Westen. Dafür wird er in den eigenen Reihen kritisiert.
Von Tilmann Kleinjung, BR
Dietrich Brouwer hatte keine großen Erwartungen an den Patriarchen. Aber “seine stille Ablehnung des Krieges würde Hoffnung geben”, sagte der Erzbischof der kleinen lutherischen Kirche Russlands. Cyril hat Brouwers Hoffnungen enttäuscht: Der 75-jährige Patriarch hat die Militärpolitik von Präsident Putin vom ersten Tag an unterstützt. „Was gesagt wurde, macht Sie traurig und enttäuscht Sie“, schrieb Brouwer in einer E-Mail. Und er kannte nicht einmal die Predigt des Moskauer Patriarchen vom vergangenen Sonntag. „Möge Gott uns allen helfen, uns in dieser schwierigen Zeit für unser Heimatland und die staatlichen Behörden zu vereinen“, sagte Cyril bei der Eröffnung einer Kirche in Moskau.
Also nochmal keine Kritik am Kreml. Stattdessen legitimiert Kirill Russlands Angriff auf die Ukraine religiös – als „metaphysischen Kampf“ des Guten gegen das Böse, sagt Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa und internationale Studien in Berlin, „degenerierte Werte, mit Liberalismus und Säkularismus.“
Lebensthema: Überzeugung des Westens
Das scheint das Lebensthema des Moskauer Patriarchen zu sein. Auch als Auslandsvertreter der russischen Kirche verurteilte er bei jeder Gelegenheit die vermeintliche postmoderne Willkür westlicher Gesellschaften, verteufelte Euthanasie, gleichgeschlechtliche Ehe und Abtreibung. Menschen des Glaubens „könnten nicht gleichzeitig den Wert der Familie und die Zulässigkeit homosexueller Beziehungen anerkennen“, sagte er bei einem ökumenischen Treffen 2007 in Sibiu, Rumänien.
Und als die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2009 Margot Kessmann zu ihrer Ratsvorsitzenden wählte, brach der im selben Jahr gewählte Patriarch Kyrill den Dialog mit den deutschen Protestanten ab: Der Patriarch könne sich nicht mit einer Bischofin treffen, sagte er damals ab Moskau. Frauen im Bischofsamt oder Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Paare – das ist aus weltlicher und kirchlicher Sicht Kyrills I. eine “Verletzung der Gesetze Gottes”.
Kyrill I. bei der Weihe der Kathedrale in Moskau. Bild: über REUTERS
Ein Gespräch mit Francis ist weiterhin möglich
In Kriegszeiten tönt es so: Russland wolle die Menschen in der Ostukraine nur vor Schwulenparaden schützen, sagte Kirill wenige Wochen nach Kriegsbeginn in einer Predigt.
Wie viel Einfluss Kirill auf den russischen Präsidenten hat, lässt sich nicht genau bestimmen. Im Gegenteil, Wladimir Putin hat sich immer wieder um die Nähe zur orthodoxen Kirche bemüht. Und während die russische Regierung international zunehmend isoliert wird, pflegt der Patriarch weiterhin ökumenische Beziehungen – etwa zum Papst in Rom. Nach einer Videokonferenz mit Francis vor einigen Wochen freute sich Cyril darüber, dass “unsere Gesprächspartner sich nicht von uns distanziert haben und zu unseren Feinden geworden sind”.
Handrahmen: Papst Franziskus und Patriarch Kyrill Bild: REUTERS
Inhaltlich verlief dieses Gespräch kaum im Sinne des Papstes. Der Patriarch verurteilte den Krieg nicht eindeutig. Doch der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti hält solche ökumenischen Treffen für wichtig – schon deshalb, weil “der Kommunikationsweg zur russischen Orthodoxie offen geblieben ist”.
Kritik aus den eigenen Reihen
Allerdings gibt es viele in der katholischen Kirche, die den Papst drängen, sich deutlicher von Putin und dem Patriarchen zu distanzieren. Die Theologin Regina Elsner stellte fest, dass “die Art und Weise, wie Patriarch Kyrill diesen Krieg in den vergangenen sechs Wochen unterstützt hat, keine Grundlage mehr dafür bietet, miteinander über christliche Werte zu sprechen”.
Auch aus den eigenen Reihen wächst der Druck auf Kirill: Rund 260 russisch-orthodoxe Geistliche aus der Ukraine drängen auf einen Kirchenprozess gegen den Moskauer Patriarchen.
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