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Kritik an der Cassis & Co.-Kommission wirft dem Bundesrat schwere Versäumnisse im Krieg in der Ukraine vor.

Bundesrätin Viola Amherd, Bundespräsident Ignacio Cassis und Karin Keller Sutter (links) verlassen am Montag, 28. Februar 2022, in Bern eine Medienkonferenz zur Krise in der Ukraine.

Bild: Keystone / Peter Schneider

Das Aufsichtsorgan des Parlaments stellt dem Bundesrat schlechte Beurteilungen des Krisenmanagements aus. In einem Schreiben der GPDel-Delegation berichten Viola Amherd, Ignacio Cassis und Karin Keller-Sutter schlecht.

Die Krise in der Ukraine eskalierte Wochen vor der russischen Invasion. Als der Krieg begann, musste sich der Bundesrat jedoch mit der Kritik von Parlamentariern und Medien auseinandersetzen, er sei unvorbereitet. Schlechte Kommunikation und der Zick-Zack-Kurs der Sanktionen kamen später als weitere Kritikpunkte hinzu.

In einem Schreiben an den Gesamtbundesrat, das dem Tages-Anzeiger vorliegt, macht sich die Wirtschaftsprüfungsdelegation der Landesregierung (GPDel) Medienberichten zufolge nun weitere Versäumnisse schuldig. Der Brief ist vom 4. April und hat einen scharfen Ton.

Es scheiterte weitgehend am Krieg in der Ukraine

Neben Bundespräsident und Aussenminister Ignacio Cassis (FDP) und dem für Sanktionen zuständigen Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) wurden in dem Schreiben auch Viola Amherd (Mitte) und Karin Keller-Sutter (FDP) kritisiert. Die Minister für Verteidigung und Justiz bilden zusammen mit dem Minister für auswärtige Angelegenheiten den Ständigen Ausschuss für Sicherheit des Bundesrates.

Seine Aufgabe ist es, in regelmässigen Abständen die Sicherheitslage in der Schweiz zu beurteilen. Die Behörde behält sich zudem das Recht vor, in Notfällen den gesamten Bundesrat zu konsultieren. Dahinter stehen Analysen und Vorarbeiten der sogenannten Kernsicherheitsgruppe, zu der Chefdiplomatin Livia Leu, Bundespolizeichefin Nicoletta della Valle und Geheimdienstchef Christian Dussie gehören.

Laut GPDel haben beide Gremien ihre Mission im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine verfehlt. Beide trafen sich vor Ausbruch des Krieges zweimal, ohne jedoch etwas zu unternehmen und die gesamte Regierung einzubeziehen. Sie trage eine grosse Verantwortung dafür, dass der gesamte Bundesrat «auf diese Krise so unvorbereitet» gewesen sei.

Die grundlegende Gruppensicherheit hat ein „nicht erfülltes“ Ziel

Konkret heisst es in dem Schreiben: «Offenbar sind das Verteidigungsministerium und der Bundesrat der Meinung, dass die Frage des Krieges in der Ukraine die Armee nicht betrifft.» GPDel sieht explizit Sicherheitsmängel in der Kerngruppe, sie haben ihr Ziel “verfehlt”.

Auch Armeechef Thomas Zusley, der den Versammlungen auch nach Kriegsausbruch fernblieb, schnitt schlecht ab. Fehlverhalten sieht GPDel auch an anderer Stelle: Dass sowohl das Staatssekretariat für Wirtschaft (zuständig für Sanktionen) als auch das Staatssekretariat für Migration (zuständig für Flüchtlinge) nicht konsultiert wurden, ist einer der Hauptvorwürfe gegen die Kerngruppe Sicherheit.

Thomas Zusley, Chef der Schweizer Armee, muss sich mit der Kritik abfinden.

Bild: Keystone / Christian Beutler

Verbesserungspotenzial sieht GPDel auch in einem zentralen Punkt – der Sicherheitszusammensetzung der Kerngruppe. Das Verteidigungsministerium müsse in dem Gremium außerhalb des Geheimdienstchefs vertreten sein, so die Vorgabe. In dem Schreiben bezeichnete GPDel den aktuellen Zustand des Sicherheitskerns als „Nabelschau“ von Geheimdiensten und Polizei.

Die Landesregierung behält sich eine Reaktion vor

Trotz der schweren Vorwürfe schweigt die Landesregierung. Das führende Verteidigungsministerium reagierte am Donnerstag nicht auf das Schreiben von GPDel. Auch Staatsrätin Maya Graf, Vorsitzende der Delegation, äußerte sich nicht. Sie bedauere nur, dass “der Inhalt des Schreibens öffentlich geworden ist”.

Der 5. Mai bot Gelegenheit zur Diskussion, als GPDel Amherd, Keller-Sutter und Cassis zu Wort bat. Bis dahin hatte die Delegation unmissverständliche Erwartungen an die Verantwortlichen: «Es ist dringend erforderlich, dass sich der Bundesrat rasch mit geeigneten Governance-Strukturen und -Instrumenten ausstattet.»