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G20-Treffen in Washington: Als der russische Vertreter das Wort ergreift, verlassen mehrere Minister den Saal – Lindner bleibt

Für Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) beginnen die Tage in Washington früh. Als er mit einer Viertelstunde Verspätung kurz vor 9 Uhr in den Kennedy Ballroom des Fairmont Hotels im Herzen der amerikanischen Hauptstadt eilte, hatte er bereits erste Gespräche mit Finanzministern und Notenbankgouverneuren geführt. Und die Worte, die er dann vor den mit Bundesbankpräsident Joachim Nagel anlässlich der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) versammelten Journalisten wählte, sind frappierend.

Es gibt Jahre, in denen wenig oder gar keine Geschichte geschrieben wird. „Wir befinden uns in einer Situation, in der Wochen Jahrzehnte prägen“, sagte Lindner. Dies wurde von Teilnehmern bestätigt, die im Gegensatz zu ihm viele ähnliche Konferenzen hatten. Es gibt keine wirtschaftliche Erholung nach der Coronavirus-Pandemie, die enorme Auswirkungen hatte, weil es stattdessen Inflation und neue Probleme in der Lieferkette gibt. Die Lieferung vieler Waren wurde unterbrochen.

Jeder sollte sich darüber im Klaren sein, so Lindner weiter, dass Sanktionen nicht der Grund seien. Dafür ist allein Russland verantwortlich. „Russland muss isoliert werden – politisch, wirtschaftlich und finanziell.“ Die diversen Treffen in Washington werden sicherlich keine Bühne für die Verbreitung von Propaganda und Lügen bieten.

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IWF-Wachstumsprognose

Und so kam es am späten Vormittag zum Boykott des G20-Gipfels. US-Finanzministerin Janet Yellen, EZB-Präsidentin Christine Lagarde und mehrere Vertreter aus Kanada und Großbritannien verließen den Sitzungssaal, während der russische Vertreter Anton Siluanov das Wort ergriff. Auch der geladene ukrainische Vertreter verließ die Sitzung. „Einige anwesende Finanzminister und Notenbankgouverneure haben tatsächlich ihre Kameras ausgeschaltet, während Russland sprach.“

Die kanadische Finanzministerin Christia Freeland veröffentlichte ein Foto westlicher Beamter, die den Sitzungssaal verlassen. „Weltdemokratien werden Russlands anhaltende Aggression und Kriegsverbrechen nicht tatenlos zusehen“, schrieb sie.

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Lindner verließ den Saal während der Aktion seiner Kollegen nicht. Aus informierten Kreisen hieß es jedoch, er widerspreche russischen Äußerungen “entschieden”.

Lindner betonte am frühen Morgen, dass die Auswirkungen des Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die Weltwirtschaft nun in Form von steigenden Zinsen, niedrigeren Wechselkursen und steigenden Lebensmittelpreisen zu sehen seien. Dies gilt insbesondere für weniger wohlhabende Länder, die bereits über geringe finanzielle Puffer verfügen.

Das Ergebnis dieser „hochsensiblen, fragilen Phase“ sei zwar entdeckt, doch die Ausgangslage sei brisant: „Wir haben eine globale Risikozunahme. „Es besteht die Gefahr einer globalen Schuldenkrise in Schwellen- und Entwicklungsländern“, sagte Lindner. Es kann noch verhindert werden, aber es muss jetzt gehandelt werden.

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Er ließ keinen Zweifel daran, wer seiner Meinung nach die größte Verantwortung trägt: die Volksrepublik China. Als einer der größten Gläubiger armer Länder trägt er eine besondere Verantwortung. Die von den führenden Wirtschaftsländern geschaffenen Rahmenbedingungen für Umschuldungen und Restrukturierungen müssen nun fortgeführt werden. Dazu gehören unter anderem klare Regeln, wie die Staatsverschuldung im Ernstfall planbar umstrukturiert und kalkuliert werden kann. China muss sich hier bewegen.

Die Verschuldung fast aller Länder ist seit der Coronavirus-Pandemie im Jahr 2020 stark gestiegen. Beschleunigte Energie- und Lebensmittelpreise führen zu Lebensmittelknappheit und einem erhöhten Risiko von Mangelernährung und sozialen Unruhen, insbesondere in wirtschaftlich schwachen Ländern, wie IWF-Experten beklagten Woche.

Deutschland will schwächere Länder durch IWF-Gelder stärker unterstützen

Lindner sagte, mehrere IWF-Fonds würden zusätzliche Unterstützung leisten, um Deutschlands Schwächen zu stabilisieren. Der Nachhaltigkeitsfonds, der für mehr Gesundheits- und Klimaschutz sorgen soll, wird deutlich aufgefüllt. Deutschland wird 6,3 Milliarden Euro verleihen.

Hinzu kommen weitere 100 Millionen Euro für den IWF-Anreiz für die ärmsten Entwicklungsländer. Lindner bemühte sich um das Ziel einer globalen Zusammenarbeit zwischen den Ländern – mit Ausnahme von Russland. Das globale Wachstumspotenzial müsse gestärkt und die Risiken einer globalen Inflation auf ein Minimum beschränkt werden, sagte Lindner.

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Wirtschaft gegen Finanzminister

Erst am Vortag hatte der IWF im Rahmen seines Global Economic Outlook seine Prognose für das Weltwirtschaftswachstum im Jahr 2022 von 4,4 % auf 3,6 % gesenkt. Das ist nicht das letzte Wort für Bundesbankpräsident Joachim Nagel. „Ob es bei 3,6 Prozent bleibt, müssen wir sehen, weitere Anpassungen sind möglich“, stimmte Nagel mit pessimistischem Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage zu.

Als Präsident der Bundesbank konzentriert er sich vor allem auf die Inflation. „Besonders für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist dies eine scharfe, sehr schwere Belastung“, sagte er. Und damit meinte er die Menschen in Europa und Deutschland. Dies war in der Ukraine vor dem Krieg ein Problem, gewinnt aber jetzt an Dynamik. Hier sind die Notenbanken durch ihre Geldpolitik gefordert. “Wir müssen uns dem Auftrag stellen, die Inflation zu kontrollieren.”

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Energie, Essen, Auto, Ruhe

Dann hat der Nachfolger des langjährigen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann in seiner kurzen Amtszeit klarer denn je gesagt, was er in dieser Situation von seinen Notenbankkollegen im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet: Sofortzins Zunahme.

Zwar sei die dringende Aussetzung der Geldpolitik nicht sinnvoll, es sei ratsam, behutsam und konsequent vorzugehen, sagte er zu Beginn vorsichtig. Doch dann wies er auf einen konkreten Zeitpunkt für eine mögliche erste Zinserhöhung hin: „den Beginn des dritten Quartals“. Dies würde im Juli geschehen.

„Wir dürfen keine Stagflation haben“

Aus Nagels Sicht dürfte der Anleihenkauf durch die EZB bis dahin abgeschlossen sein. Das Problem der sehr niedrigen Inflationsraten, für die Anleihekäufe vorgesehen waren, wäre jedenfalls gelöst. Eine Rückkehr zum Inflationsziel der EZB von 2 % wird immer unwahrscheinlicher.

Kommt es zu einem umfassenden Energieembargo gegen Russland und damit zu einem weiteren Preisanstieg, käme es zu einer zweistelligen Inflation. „Wir sollten keine Stagflation bekommen“, sagte Nagel, also eine Phase einer stagnierenden Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation.

Neben der Bitte an die eigenen Notenbankkollegen hatte Nagel auch eine Bitte an die Finanzminister: Sie sollten sich künftig stärker darum bemühen, in guten Konjunkturphasen einen Puffer aufzubauen. „Die Krisen der letzten Jahrzehnte haben uns gelehrt, dass es, egal aus welcher Ursache, am Ende viel Geld braucht, um die Krisen zu heilen“, sagte er. Es werden immer große finanzielle Mittel benötigt, um Krisen entgegenzuwirken. Finanzminister Lindner würde wohl nichts als Nagel sagen.

Positiver Kronentest bei Lindner

Nach diesem langen Arbeitstag kam schließlich noch eine unangenehme Nachricht: Lindner gab einen positiven Test für die Krone ab. Jetzt ist es an der Zeit, ihn zu isolieren.

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