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“Großer Propagandaerfolg für Putin”: Tritin fordert Rücknahme von Steinmeiers Einladung – Politik

Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, forderte die Ukraine auf, die Absage des Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew zurückzunehmen. „So geht das nicht“, sagte Tritin dem Deutschen Redaktionsnetzwerk (RND).

„Das gerade wiedergewählte deutsche Staatsoberhaupt zum unerwünschten Mann zu erklären, ist ein großer Propagandaerfolg für Wladimir Putin. Wenn Sie die Europäer spalten wollen, dann müssen Sie es wie der ukrainische Präsident tun. “Wir erwarten, dass die Ukraine das zurückbekommt.”

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Am Dienstagabend wurde bekannt, dass der ukrainische Präsident Wladimir Selenskyj Frank-Walter Steinmeier offenbar nicht in Kiew empfangen wollte. Eine geplante Reise des Bundespräsidenten in die Ukraine ist explodiert.

Polens Präsident Andrzej Duda habe in den vergangenen Tagen angeboten, mit den baltischen Staatschefs in die ukrainische Hauptstadt zu reisen, „um ein starkes Zeichen der gemeinsamen europäischen Solidarität mit der Ukraine zu setzen und zu setzen“, sagte Steinmeier bei einem Besuch in Warschau weiter Dienstag. “Ich war bereit dafür. Aber offensichtlich – und das muss ich sagen – war das in Kiew nicht erwünscht.

In einem Interview mit CNN am Mittwoch sagte ein Berater von Selenskyjs Stabschef Sergei Leschtschenko, Steinmeier sei überhaupt nicht abgesetzt worden. Aus Kiew selbst gab es keine Kommentare mehr. Wie der Tagesspiegel erfuhr, gab es auf Botschafterebene eine förmliche Absage.

Frank-Walter Steinmeier Foto: IMAGO / Eastnews

Zunächst berichtete die „Bild“-Zeitung, der ukrainische Präsident Wladimir Selenskyj habe sich geweigert, den Bundespräsidenten in Kiew zu besuchen. Grund dafür seien Steinmeiers enge Beziehungen zu Russland in den vergangenen Jahren, schreibt die Zeitung.

Stattdessen lädt die Ukraine nun Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Kiew ein. „Wir haben auch angekündigt, dass mein Präsident und meine Regierung sich sehr freuen werden, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz Kiew besucht“, sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andriy Melnik, am Dienstagabend gegenüber ProSieben und SAT.1.

Bei dem Besuch soll es darum gehen, wie Deutschland der Ukraine mit schweren Waffen im Kampf gegen Russland helfen kann. „Mein Präsident freut sich darauf“, sagte Melnik.

Scholz kritisierte die Entladung Steinmeiers aus der Ukraine als “etwas irritierend”. „Der Bundespräsident würde gerne in die Ukraine“, sagte Scholz am Mittwoch im Inforadio des rbb. „Deshalb wäre es gut, sie anzunehmen.“ Auf die Frage, ob er die bestehende Einladung nach Kiew annehmen würde, antwortete Scholz nicht.

Andriy Melnik ist Botschafter der Ukraine Foto: IMAGO / Christian Speaker

Von 1999 bis 2005 war der Bundespräsident Kanzleramtschef von Gerhard Schröder, von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 Bundesminister des Auswärtigen. In seinen bisherigen Ämtern hat er eine Politik der russischen Einbindung betrieben und auch das umstrittene Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 unterstützt. Vor einer Woche hatte er erstmals Fehler in seiner Russlandpolitik eingeräumt und eine “bittere Bilanz” gezogen. Er erklärte, dass er sich in Bezug auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin geirrt habe.

„Meine Einschätzung war, dass Wladimir Putin den vollständigen wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes wegen seines imperialen Wahnsinns nicht hinnehmen würde“, sagte Steinmeier. Auch sein Festhalten am Pipeline-Projekt Nord Stream 2 war ein offensichtlicher Fehler. Wir klammerten uns an Brücken, an die Russland nicht mehr glaubte und vor denen uns unsere Partner gewarnt hatten.

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Der Botschafter der Ukraine in Berlin, Andriy Melnik, hatte den Bundespräsidenten zuvor scharf kritisiert und ihm in einem Interview mit dem Tagesspiegel vorgeworfen, “seit Jahrzehnten ein Netz von Kontakten zu Russland zu knüpfen”. Melnik sagte, er habe Herrn Steinmeier das Eingeständnis seiner Fehler in der russischen Politik nicht abgekauft. Die Sätze fielen jedoch, bevor Steinmeier seinen Fehler einräumte.

überraschende Absage

In Berlin war das Vorgehen der Ukraine erstaunlich. „Der Bundespräsident hat eine klare und eindeutige Position auf der Seite der Ukraine“, sagte ein Regierungssprecher.

Nach seiner Wiederwahl wandte sich Steinmeier an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Löse die Schlinge um den Hals der Ukraine!“ Und betonte, dass kein Land der Welt das Recht habe, die Selbstbestimmung und Souveränität der Ukraine zu zerstören. „Deutschland war und ist international einer der stärksten Unterstützer der Ukraine, und dies ist eng mit der langjährigen Arbeit des derzeitigen Bundespräsidenten verbunden“, sagte er.

„Die Reise des Bundespräsidenten nach Kiew wäre ein klares außenpolitisches Zeichen der Solidarität“, sagte der Vorsitzende der PSD-Fraktion, Rolf Mücenich, der Rheinischen Post. „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass der Besuch des Bundespräsidenten die anhaltende Unterstützung unseres Landes unterstreichen kann“, fügte er hinzu.

Der frühere Parteigesetzgeber Ralph Stegner schrieb derweil auf Twitter: „Ein Besuch unseres Staatsoberhauptes in der Ukraine würde die deutsche Solidarität mit der von Putins Armee angegriffenen Ukraine zum Ausdruck bringen, zumal wir auch große wirtschaftliche, politische, humanitäre und militärische Unterstützung leisten „Kritik an Steinmeiers Politik gegenüber Russland habe keinen ‚politischen Charakter‘“, sagte Stegner und fügte hinzu, Fehler wie die hohe Abhängigkeit von russischen Energielieferungen würden korrigiert.

Auch Hamburgs PSD-Abgeordneter und Vizepräsident des Bundestages, Aidan Jozoguz, äußerte sich zu dem Kurznachrichtendienst. Sie findet es ärgerlich, dass die Ukraine “fast alles von uns verlangt, aber den Bundespräsidenten nicht sehen will”.

Kubicki kritisiert das Entladen

Auch der FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki kritisierte Steinmeiers Einladung. Er hat ein umfassendes Verständnis der politischen Führung in der Ukraine. Das Land kämpft um sein Überleben. „Aber alles hat seine Grenzen. Ich glaube nicht, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gut beraten war, den Vorschlag für einen solchen Besuch abzulehnen, nicht nur aus Deutschland.“ Eine Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kiew schließt Kubicki vorerst aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer FDP-gestützten Regierung in ein Land reist, das unser Staatsoberhaupt zur unerwünschten Person erklärt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Harte Gespräche über “schwere Belastung”

Unions-Außenpolitiker Jürgen Hart (CDU) bezeichnete die Absage von Steinmeiers Ukraine-Besuch als „ernsthafte Spannungen“ in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Bundeskanzler Olaf Scholz werde heute mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefonieren, fragte Hart am Mittwoch im Morgenmagazin der ARD.

Verwöhnte Reise schade

Für Steinmeier ist die gescheiterte Reise nach Kiew eine Schande. Bereits am Freitag hatte er Reiseabsichten signalisiert. “Natürlich denke ich auch darüber nach, wann der richtige Zeitpunkt für meinen nächsten Besuch in Kiew ist.” Diese Pläne sind bereits überholt. Und das, obwohl hochrangige westliche Politiker dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskyj jetzt die Hand schütteln.

Die Regierungschefs Polens, Großbritanniens, Österreichs, der Tschechischen Republik, Sloweniens und der Slowakei sind bereits nach Kiew gereist, um der Ukraine im Kampf gegen die russischen Eindringlinge den Rücken zu stärken. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war am Freitag dort.

Drei führende Parlamentarier der Ampelkoalition sind am Dienstag aus Deutschland in die Ukraine gereist – allerdings nicht in die Hauptstadt Kiew, sondern in die westukrainische Stadt Lemberg. Dort wollten die Vorsitzenden des Auswärtigen, des Verteidigungs- und des Europaausschusses – Michael Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) – mit Abgeordneten des ukrainischen Parlamentsrats zusammentreffen. Alle drei Politiker forderten kürzlich schnellere Waffenlieferungen. Das sind die ranghöchsten deutschen Politiker, die seit Kriegsbeginn vor sieben Wochen die Ukraine besuchen. (mit dpa)